10 Must-Dos aus der Biodiversitätsforschung 2022
Wir, die Autorinnen und Autoren der 10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2022 (10MustKnows22), wenden uns an Sie, die Politik gestalten und verantworten. Auf dem Weltnaturgipfel, der im Dezember 2022 in Montréal stattfindet, bedarf es Ihres entschlossenen Auftretens, um das menschengemachte Artensterben zu stoppen und die Biodiversität zu stärken. Die 10MustDos22 sollen Sie dabei unterstützen, indem sie Lösungswege aufzeigen, die ohne Verzug angegangen werden können.
Entsprechende Literaturhinweise finden Sie jeweils unter "Mehr lesen".
Einleitung
05.12.2022 ·Die Biodiversität ist die Basis unseres Lebens, unserer Gesundheit, unseres Wohlbefindens, unserer Zukunft, daher muss ihr Schutz gesamtgesellschaftlich gelöst und über alle Politikfelder und Ressorts mitgedacht und verankert werden. Zudem ist Biodiversitätsschutz ein starker Hebel, um die 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung der Agenda 2030 (SDGs) zu erreichen. (Den gesamten Einleitungstext finden Sie im 10MustDos-Download).
MustDo 1: Wussten Sie, dass in den vergangenen zehn Jahren etwa 55 Prozent des von Menschen getriebenen Treibhausgases Kohlendioxid durch die Ökosysteme an Land und den weltumspannenden Ozean aufgenommen wurden [1]?
05.12.2022 ·Wir unterstützen die Forderung, bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen [2], weitere 20 Prozent als Klimastabilisierungsgebiete zu deklarieren [3] (wobei der Schutz eine nachhaltige Bewirtschaftung nicht unbedingt ausschließt) und zudem weltweit eine Milliarde Hektar degradierter Ökosysteme zu renaturieren. Diese Maßnahmen könnten 1/3 der erforderlichen Aktivitäten entsprechen, um den globalen Temperaturanstieg bis 2100 auf deutlich unter 2 Grad Celcius zu begrenzen und 2/3 der Arten zu erhalten, die akut vom Aussterben bedroht sind [4].
MustDo 2: Wussten Sie, dass ein Aufenthalt von 2 Stunden pro Woche in der Natur die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden stärkt [1]?
05.12.2022 ·Wir fordern, die Biodiversität in urbanen Räumen (in denen bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt) konsequent zu fördern. Das stärkt die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt [2]. Naturbasierte Lösungen wie die Entsiegelung von Böden, das Pflanzen von Straßenbäumen (grüne Infrastrukturen) oder die Renaturierung bzw. Neuanlage von Gewässern (blaue Infrastrukturen) verbessern zudem lokal die Luftqualität sowie die Klima- und Wasserregulation [3,4]. Die Faustregel 3-30-300 ist ein gutes Ziel: 3 Bäume pro Haus, 30 Prozent Baumkronen im Viertel, 300 Meter zur nächsten Grünfläche [5].
MustDo 3: Wussten Sie, dass künstliches Licht einer der wichtigsten Treiber des globalen Wandels ist und dadurch die Nächte jedes Jahr um 2 bis 6 Prozent heller werden [1]?
05.12.2022 ·Wir fordern, künstliches Licht um Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (FFH-Gebiete) weiträumig zu reduzieren. Künstliche Lichtemissionen beeinträchtigen in zunehmendem Maße Schutzgebiete [2], sie gefährden die Vernetzungen und ökologischen Wechselbeziehungen der Lebensgemeinschaften [3]. Diese und weitere anthropogene Emissionen verletzen zudem die FFH-Richtlinie. Gleichzeitig müssen die Schutzgebiete so geplant werden, dass auch die Erkenntnisse über die unsichtbare Biodiversität in Böden, Sedimenten und Gewässern beachtet werden. Diese Lebensgemeinschaften spielen eine wichtige Rolle für die Vernetzung und Gesundheit der Ökosysteme [4].
MustDo 4: Wussten Sie, dass rund 70 Prozent der bislang 7.000 bekannten Sprachen auf gerade einmal 1/4 der Erdoberfläche beheimatet sind und dieses 1/4 zudem die Regionen mit der höchsten Biodiversität enthält [1]?
05.12.2022 ·Wir fordern, die indigenen und lokalen Sprachen und die damit verbundenen Wissenssysteme zu bewahren, zu pflegen und zu dokumentieren. Das schließt die Anerkennung der Land-, Territorial- und soziokulturellen Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLCs) ein. Die biologische, soziokulturelle und sprachliche Vielfalt sind miteinander verwoben, da sie sich als sozialökologische Systeme entwickelt haben [2]. Das hochentwickelte Umweltwissen sowie die Praktiken der IPLCs spielen eine entscheidende Rolle für ein gutes Leben in planetaren Grenzen [3,4,5,6].
MustDo 5: Wussten Sie, dass Wälder der gemäßigten und kaltgemäßigten (borealen) Klimazone 2/3 des aufgenommenen Kohlenstoffs langfristig speichern [1]?
05.12.2022 ·Wir fordern, Primärwälder weltweit vor Raubbau zu schützen und degradierte Wälder durch gezielte Pflanzungen und natürliche Verjüngung zu naturnahen, klimaplastischen Wäldern zu entwickeln. Das erhält und erschließt neue Kohlenstoffsenken und stärkt die Gesundheit des Ökosystems Wald und der Menschen [2]. Trotz steigender Nachfrage nach Holzressourcen kann diese Forderung eingelöst werden, wenn die Handels- und Umweltpolitik die globale Vernetzung der Holzproduktion stärker berücksichtigt.
MustDo 6: Wussten Sie, dass die Landwirtschaft global derzeit mit 540 Milliarden US-Dollar subventioniert wird [1]?
05.12.2022 ·Wir fordern, dass die vorhandenen Subventionsmittel gezielt für die Transformation der Landwirtschaft hin zu einer biodiversitätsfreundlichen Produktion eingesetzt werden. Die naturbasierte Nutzung von Biodiversität und die vielfältigen Ökosystemleistungen für die landwirtschaftliche Produktion reduzieren den Einsatz von mineralischer Düngung, chemischem Pflanzenschutz sowie Treibhausgasemissionen und stabilisieren die Erträge [2]. Wir fordern, dass zudem die Erweiterung des Spektrums an Kulturarten gefördert wird [3,4,5].
MustDo 7: Wussten Sie, dass durch menschliche Eingriffe 77 Prozent der globalen Landfläche (ohne die Antarktis) und 85 Prozent der Ozeane teilweise gravierend verändert worden sind [1]?
05.12.2022 ·Das betrifft die Lebensräume von 83 Prozent der wildlebenden Säugetiere und 50 Prozent der Pflanzen [1]. Wir fordern, den Schutz von natürlichen Ressourcen (Boden, Wasser, Luft) und von Biodiversität als zentrale Aufgabe in allen politischen und planerischen Entscheidungsprozessen lokal, regional, national und global zu verankern. Diese Priorität darf nicht durch Einzelinteressen verwässert werden. Um die Transformation zu einer ressourcenschonenden, nachhaltigen Gesellschaft zu fördern, sind auch innovative Kräfte (Change Agents) zentrale Akteure.
MustDo 8: Wussten Sie, dass 18 Prozent der Landfläche und mehr als 8 Prozent der Meeresgebiete [1] der EU mit dem Natura-2000-Netzwerk geschützt sind?
05.12.2022 ·Das weltweit größte koordinierte Netz von Schutzgebieten bietet einen – allerdings unterschiedlich sicheren – Zufluchtsort für bedrohte Arten und die wertvollsten Lebensräume Europas. Wir fordern, die zwischenstaatliche Koordination und Zusammenarbeit zu verstärken, damit Schutzstrategien auch die Auswirkungen berücksichtigen, die über die Landesgrenzen hinausgehen (Telekopplung). Dafür muss überregional und global ein wirksames Überwachungssystem (stratifiziertes Bodiversitätsmonitoring) und ein flächendeckendes Frühwarnsystem etabliert und langfristig gesichert werden.
MustDo 9: Wussten Sie, dass mehr als 2,23 Milliarden Informationen zu allen Lebewesen [1] dieser Erde in einem Datenportal offen zugänglich sind und so weltweit Biodiversitätsschutz und Klimaanpassungen ermöglichen?
05.12.2022 ·Diese Global Biodiversity Information Facility (GBIF) speist sich aus derzeit 1.922 Datenbanken, deren Daten alle offen zugänglich sind. Wir fordern, den offenen Zugang und die uneingeschränkte Nutzung zu diesen Quellen wissenschaftlicher Biodiversitätsdaten und -informationen zu erhalten, diese Informationsinfrastrukturen [2] auszubauen und langfristig zu sichern. Sie sind zentral, um wirksame Maßnahmen zur Erforschung, zum Schutz und zur Wiederherstellung der Biodiversität zu entwickeln und zu ergreifen.
MustDo10: Wussten Sie, dass weltweit jährlich zwar bis zu 143 Milliarden US-Dollar in den Erhalt der Biodiversität investiert werden ...
05.12.2022 ·... aber private Investitionen in Höhe von 2,6 Billionen US-Dollar und öffentliche Subventionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar die Biodiversität im gleichen Zeitraum schädigen oder gar vernichten [1,2,3,4]? Wir fordern, schädliche Subventionen abzuschaffen und für die Wirtschaft sowie den Finanzsektor Anreize zu setzen, in den Schutz und Erhalt der Biodiversität zu investieren. Dafür müssen die gesellschaftlichen Folgekosten des Verlusts von Ökosystemleistungen und Biodiversität monetär bewertet und diese Werte in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (z. B. Bruttosozialprodukt) eingeführt werden. Das gilt auch für ausgelagerte Biodiversitätsverluste wie den Verlust von Arten infolge von Importen nach Deutschland.
MustDo 11: Wussten Sie, dass die Autorinnen und Autoren der zugrundeliegenden 10MustKnows für alle Ihre Fragen zur Verfügung stehen?
05.12.2022 ·Biologische Vielfalt ist die grundlegende Versicherung in Zeiten des Klimawandels [1,2]. Gerade die deutsche Biodiversitätsforschung - beispielsweise in Leibniz-Instituten - trägt maßgeblich dazu bei, die elementare Bedeutung der Biodiversität zu verstehen und zeigt zugleich Wege für den Erhalt und die nachhaltige Wiederherstellung der biologischen Vielfalt auf. Diese erstklassige Wissensinfrastruktur [3], die diverse Sammlungen und assoziierte Daten einschließt, kann der deutschen, europäischen und internationalen Politik wegweisende Hinweise geben, um den Transformationsprozess voranzubringen. Sprechen Sie uns an! Wir bringen Sie mit den verantwortlichen Expertinnen und Experten in Kontakt.